DJV: Philosophen der Tierrechtsbewegung haben offensichtlich unterschiedliche Ansätze. Was sind die Ursprünge und was steckt eigentlich dahinter?
Alexander Schwab: Es ist wichtig zu wissen, dass die Tierrechtsbewegung aus zwei unterschiedlichen philosophischen Denkmodellen besteht, der Tierbefreiung und dem Tierrecht. Zwischen Tierrechtlern und Tierbefreiern liegt ein unendlich tiefer philosophischer Graben. Der ist aber so schmal, dass sie problemlos gemeinsam an einem Strick ziehen können und die Tierrechtsbewegung bilden, die sich gegen jegliche Nutzung von Tieren ausspricht.
Was verbirgt sich hinter Tierbefreiung?
Peter Singer publizierte 1975 das Buch „Animal Liberation“  (Die Befreiung der Tiere) und damit war über Nacht die Tierrechtsbewegung geboren. Seine Philosophie kann man so skizzieren: Alle leidensfähigen Wesen haben Interessen. Diese müssen berücksichtigt werden und zwar unabhängig davon ob Mensch oder Tier. Zentral für das Verständnis: Nur die Leidensfähigkeit zählt, was nicht leidet, hat keine Interessen und muss nicht moralisch berücksichtigt werden. Peter Singers Philosophie basiert nicht auf Rechten, sondern auf Interessensabwägungen im Zusammenhang mit Leidensfähigkeit. Trotzdem redet Singer von „Rechten“, weil, wie er sagt, dass „Rechte“ propagandistisch nützlich sind.
Eine moralische Wertigkeit für Mensch, Tier und Umwelt. Was bedeutet das?
Ein Stein ist nicht leidensfähig, also ist er moralisch absolut wertlos, also ist auch unsere Umwelt wertlos, da sie nicht leidensfähig ist. Leichen sind nicht leidensfähig, also ist Sex mit Leichen für Peter Singer grundsätzlich kein moralisches Problem. Einen Schmetterling, von dem angenommen wird, dass er nicht leidet, dürfen wir fangen und nach Belieben misshandeln – was nicht leidet ist moralisch wertlos.
Gibt es denn keine Unterschiede zwischen Menschen und Tieren?
Nein, diese Grenze ist aufgehoben. Mensch und Tier werden nur unter dem Aspekt der Leidensfähigkeit betrachtet und so moralisch „bewertet“. Die singerschen Interessensabwägungen bevorzugen nicht im Vornherein den Menschen und sind schwer nachvollziehbar. So gilt für Singer, dass ein kranker Mensch, etwa ein Alzheimer-Patient, euthanasiert werden darf, ein gesundes Huhn aber ein Recht auf einen natürlichen Tod hat.
Und was haben die Tierrechtler zu sagen?
Tierrechtler hingegen berufen sich auf Tom Regan und sein Buch „The Case for Animal Rights“ (Das Plädoyer für Tierrechte, 1983): Jedes Lebewesen, das eine gewisse Form von Bewusstsein hat, ist ein „Subjekt eines Lebens“. Aus dieser Grundposition heraus leitet Tom Regan die Rechte für Tiere ab. Tierrechte sind individuelle Rechte – ein Heringsschwarm beispielsweise kann kein Rechtsträger sein, weil er kein „Subjekt eines Lebens“ ist. Gleiches gilt für die Umwelt und die Artenvielfalt. Das heißt, auch im Falle der Tierrechtsphilosophie, haben wir gegenüber unserer Lebensgrundlage keine moralische Verpflichtung! Das hat etwas Selbstzerstörerisches an sich. Für Tom Regan und seiner Anhänger spielt das Leiden der Tiere keine Rolle. Es geht ausschließlich um die Rechte der Tiere.
Und wie steht der klassische Tierschutz zu den Ideen der Tierrechtsbewegung?
Die Basis des Tierschutzes besteht heute aus einem Bündel verschiedenster Ideen aus Vergangenheit und Gegenwart. Der traditionelle Tierschutz ist keine radikale Weltverbesserungsideologie, wie es die Tierbefreiungs- und Tierrechtsphilosophie sind und lässt sich in einem Satz zusammenfassen: „Quäle nie ein Tier zum Scherz, denn es fühlt wie du den Schmerz“. Hier steht der passive Schutzgedanke und die Leidvermeidung im Vordergrund.
Tierschutz und Tiernutzung: passt das zusammen?
Der  traditionelle Tierschutz bejaht die Nutzung und auch den Verzehr von Tieren durch den Menschen, allerdings unter Berücksichtigung gewisser Standards und Auflagen. So müssen zum Beispiel Nutz- und Haustiere artgerecht gehalten werden. Ein Blindenhund ist für den traditionellen Tierschutz kein grundsätzliches Problem. In Sachen Artenschutz handelt man pragmatisch obwohl auch der Tierschutz grundsätzlich auf Einzeltiere bezogen ist.
Also gibt es eine strikte Trennung zwischen Tierschutz und der Tierrechtsbewegung?
Vielleicht vor 20 Jahren noch. Der Tierschutz übernimmt immer mehr Sprache und Inhalte der Tierrechtsbewegung und wendet sich mehr und mehr einem aktiven Prinzip zu: dem Wohlergehen der Tiere. Die großen Tierschutzorganisationen bewegen sich heute eindeutig in Richtung Tierrecht oder sind schon dort und umgekehrt verstecken sich die Tierrechtsbewegten häufig hinter Tierschutzargumenten, So entstehen dann Hybridpositionen von großer praktischer Tragweite wie eben die Würde des Tieres in der Schweizer Bundesverfassung und Artikel 13 in der europäischen Verfassung, wo eben das „Wohlergehen  der Tiere“ im Grundsatz festgehalten ist.
Den ersten Teil des Interviews finden Sie hier.

Zur Person Alexander Schwab
Alexander Schwab (1953) wuchs in Brugg in der Schweiz auf, besuchte das College in Swindon, England und hat in Aberdeen, Schottland, Philosophie und Geschichte studiert. Beruflich war er in den Bereichen Marketing, Kommunikation und Beratung engagiert. Seit 2003 ist Schwab als Autor, Publizist und Verleger tätig. In der englischsprachigen Welt ist er vor allem durch  „Hook, Line and Thinker – Angling & Ethics“ (2003) und den Bestseller „Mushrooming Without Fear“ (2006) bekannt. Auf Deutsch erschienen sind 2016 „Werte, Wandel, Weidgerechtigkeit 2.0“ und „Jagen für Nichtjäger“. Mehr Infos zu Autor und Büchern: www.eichelmändli.ch